WCAG 2.1 vs 2.2 vs 2.3: Welcher Standard gilt 2025?

Die WCAG-Landschaft entwickelt sich rasant: Während WCAG 2.1 noch die gesetzliche Grundlage für das BFSG bildet, ist WCAG 2.2 bereits Standard und WCAG 2.3 steht in den Startlöchern. Diese Verwirrung führt bei Unternehmen zu Unsicherheit: Welcher Standard ist wirklich erforderlich? Was sind die Unterschiede? Und wie bereiten Sie sich auf zukünftige Entwicklungen vor?[1][2]
Quick Answer: WCAG 2.1 für BFSG, 2.2 empfohlen
Gesetzlich erforderlich: WCAG 2.1 Level AA (via EN 301 549)
Beste Praxis: WCAG 2.2 Level AA für bessere mobile Accessibility
Zukunftssicher: WCAG 2.3 vorbereiten (2026+ erwartet)
WCAG 2025: Die rechtliche Situation in Deutschland
Gesetzlicher Standard: WCAG 2.1 Level AA
Das BFSG verweist auf EN 301 549 v3.2.1, welches WCAG 2.1 Level AA vollständig integriert. Das bedeutet:
- 50 Erfolgskriterien sind gesetzlich verpflichtend (25 Level A + 25 Level AA)
- Stichtag: 28. Juni 2025 - keine Übergangszeit für digitale Services
- Durchsetzung: Bußgelder von 10.000-100.000€ bei Verstößen
- Geltungsbereich: Alle B2C-digitalen Dienste (mit Mikrounternehmen-Ausnahmen)
Warum nicht WCAG 2.2 oder 2.3?
- Standardisierungs-Zyklen: EN 301 549 wird nur alle 3-5 Jahre aktualisiert
- Rechtssicherheit: Etablierte Standards sind juristisch besser abgesichert
- Internationale Koordination: EU-weite Harmonisierung braucht Zeit
- Implementation Reality: Viele Unternehmen kämpfen noch mit 2.1-Basics
WCAG 2.1: Die BFSG-Baseline (50 Kriterien)
WCAG 2.1 ist die bewährte Foundation der Web-Accessibility und seit 2018 W3C-Standard. Alle 50 Kriterien sind gut dokumentiert, haben etablierte Testing-Tools und umfangreiche Best-Practice-Ressourcen.
Die 4 Prinzipien von WCAG 2.1:
| Prinzip | Level A Kriterien | Level AA Kriterien | Kritische Beispiele |
|---|---|---|---|
| Wahrnehmbar | 8 | 5 | Alt-Texte, Farbkontraste 4.5:1 |
| Bedienbar | 13 | 7 | Tastatur-Navigation, Skip-Links |
| Verständlich | 3 | 9 | Konsistente Navigation, Fehlerkorrektur |
| Robust | 1 | 4 | Valides HTML, ARIA-Implementierung |
WCAG 2.1 Neuerungen (vs. WCAG 2.0):
13 neue Kriterien, primär für mobile und kognitive Accessibility:
Mobile-fokussierte Kriterien:
- 2.5.1 Zeigergesten (Level A): Alternative zu komplexen Gesten
- 2.5.2 Zeigerabbruch (Level A): Aktion erst bei mouseup/touchend
- 2.5.3 Label im Namen (Level A): Sichtbarer Text in accessible name
- 2.5.4 Bewegungsaktivierung (Level A): Alternative zu Shake-Gesten
Kognitive Accessibility:
- 1.3.4 Ausrichtung (Level AA): Content darf Orientierung nicht beschränken
- 1.3.5 Eingabezweck identifizieren (Level AA): Autocomplete für Formulare
- 1.4.10 Reflow (Level AA): Horizontales Scrollen vermeiden bis 320px
- 1.4.11 Nicht-Text-Kontrast (Level AA): UI-Elemente 3:1 Kontrast
- 1.4.12 Textabstand (Level AA): Anpassbare Zeilenabstände
- 1.4.13 Content bei Hover oder Fokus (Level AA): Tooltips kontrollierbar
Robustheit:
- 4.1.3 Status-Nachrichten (Level AA): aria-live für dynamische Updates
WCAG 2.2: Der aktuelle Standard (9 neue Kriterien)
WCAG 2.2 wurde im Oktober 2023 als W3C-Recommendation veröffentlicht und ist der aktuelle Stand der Technik. Alle WCAG 2.1-Kriterien bleiben unverändert, plus 9 neue Anforderungen[3].
Die 9 WCAG 2.2 Neuerungen im Detail:
Level A Kriterien (2 neue):
2.4.11 Fokus nicht verdeckt (Minimum) (Level A)
- Problem: Modal-Dialoge, Sticky-Header verdecken fokussiertes Element
- Lösung: Fokussierte Elemente müssen sichtbar bleiben oder sichtbar gemacht werden
- Praxis:
element.scrollIntoView()bei Fokusänderung
2.4.12 Fokus nicht verdeckt (Erweitert) (Level AA)
- Verschärfung von 2.4.11: Element darf gar nicht verdeckt werden
- Anwendung: Kritische User-Interfaces, barrierefreie SPAs
Level AA Kriterien (5 neue):
2.4.13 Fokussichtbarkeit (Level AA)
- Anforderung: Fokus-Indikator mindestens 2 CSS-Pixel dick
- Kontrast: 3:1 zum umgebenden Bereich
- Umsetzung:
:focus-visible { outline: 2px solid #005fcc; }
2.5.7 Ziehen-Bewegungen (Level AA)
- Problem: Drag-and-Drop ohne Alternative
- Lösung: Einfache Pointer-Interaktionen als Alternative
- Beispiel: Datei-Upload mit Drag&Drop + Browse-Button
2.5.8 Zielgröße (Minimum) (Level AA)
- Anforderung: Touch-Targets mindestens 24x24 CSS-Pixel
- Ausnahmen: Inline-Links in Text, native Browser-Controls
- Mobile-Optimierung: Buttons, Links, Icons vergrößern
3.2.6 Konsistente Hilfe (Level A)
- Anforderung: Hilfe-Mechanismen an konsistenter Position
- Beispiele: Kontakt-Info, Chatbot, FAQ-Link
- Umsetzung: Gleiche Position in Header/Footer auf allen Seiten
3.3.7 Redundante Eingabe (Level A)
- Problem: Nutzer muss gleiche Info mehrfach eingeben
- Lösung: Auto-completion oder Copy/Paste-Mechanismen
- Praxis: Rechnungsadresse = Lieferadresse Checkbox
Level AAA Kriterien (2 neue):
2.4.14 Fokus voll sichtbar (Level AAA)
- Premium-Standard: Kompletter Fokus-Rahmen sichtbar
- Anwendung: Nur für spezialisierte, hochwertige Interfaces
3.3.8 Zugängliche Authentifizierung (Minimum) (Level AA)
- Problem: CAPTCHA, komplexe Passwort-Regeln
- Lösung: Alternative Authentifizierung oder Vereinfachung
- Praxis: 2FA via SMS statt nur CAPTCHA
💡 WCAG 2.2 Business Case
Warum WCAG 2.2 umsetzen, obwohl nur 2.1 Pflicht ist?
• Mobile-First: Bessere Touch-Navigation und Responsive Design
• Zukunftssicher: Früh adopter haben Wettbewerbsvorteil
• SEO-Boost: Bessere Core Web Vitals durch improved UX
• Risikominimierung: Weniger Abmahnungen und Beschwerden
WCAG 2.3: Die Zukunft (2026+ erwartet)
WCAG 2.3 befindet sich in aktiver Entwicklung und wird voraussichtlich 2026 als W3C Recommendation veröffentlicht. Erste Working Drafts zeigen den Fokus[4]:
WCAG 2.3 Themenschwerpunkte:
- KI und Automation: Barrierefreiheit bei AI-generierten Inhalten
- AR/VR Accessibility: Standards für Extended Reality
- Voice Interfaces: Sprachgesteuerte UI-Patterns
- Cognitive Load Reduction: Wissenschaftsbasierte Kriterien für mentale Belastung
- Cross-Platform Consistency: Standards für App/Web/Desktop-Harmonisierung
Voraussichtliche neue Kriterien (Still in Draft):
- Predictable Content: AI-generierte Inhalte vorhersagbar gestalten
- Cognitive Overload Prevention: Informationsdichte begrenzen
- Voice Navigation Support: Sprachsteuerung für alle Funktionen
- Biometric Alternatives: Erweiterte Alternative zu biometrischer Authentifizierung
- Cross-Device Synchronization: Accessibility-Settings geräteübergreifend
Timeline-Prognose:
- 2025: Working Drafts und Public Feedback
- 2026: Candidate Recommendation
- 2027: W3C Recommendation (finaler Standard)
- 2028-2030: Integration in nationale Gesetze (EN 301 549 Update)
Vergleichstabelle: WCAG 2.1 vs 2.2 vs 2.3
| Aspekt | WCAG 2.1 | WCAG 2.2 | WCAG 2.3 |
|---|---|---|---|
| Status | W3C Standard (2018) | W3C Standard (2023) | Working Draft |
| Gesetzlich | ✅ BFSG-Pflicht | ❌ Empfohlen | ❌ Zukunft |
| Kriterien gesamt | 50 (A: 25, AA: 25) | 59 (A: 27, AA: 32) | 65+ (geschätzt) |
| Mobile Focus | ⭐⭐⭐ | ⭐⭐⭐⭐⭐ | ⭐⭐⭐⭐⭐ |
| Kognitive Accessibility | ⭐⭐ | ⭐⭐⭐ | ⭐⭐⭐⭐⭐ |
| KI/AR Integration | ❌ | ❌ | ✅ |
| Implementierungs-Aufwand | Hoch | +15-20% | +30-40% |
| Tool-Support | Exzellent | Gut | Begrenzt |
| Best Practice Materialien | Umfangreich | Wachsend | Minimal |
Praxis-Empfehlungen: Welchen Standard wählen?
Für BFSG-Compliance: WCAG 2.1 Level AA
Minimum-Anforderung für rechtliche Sicherheit:
✅ Alle 50 WCAG 2.1 Level A/AA Kriterien erfüllen
✅ EN 301 549 Zusatz-Anforderungen (Biometrie, Dokumente)
✅ Konformitätserklärung veröffentlichen
✅ Regelmäßige Audits durchführen
Für Wettbewerbsvorteil: WCAG 2.2 Level AA
Empfohlener Standard für zukunftsorientierte Unternehmen:
✅ Alle WCAG 2.1 Kriterien (Basis)
✅ Plus 9 neue WCAG 2.2 Kriterien
✅ Fokus auf mobile Accessibility
✅ Verbesserte Touch-Navigation
✅ Reduzierte kognitive Last
Für Innovation: WCAG 2.3 vorbereiten
Früh-Adopter-Strategie für Tech-Leaders:
🔄 WCAG 2.3 Working Drafts monitoren
🔄 KI-Integration accessibility-konform planen
🔄 Voice-Interface-Standards berücksichtigen
🔄 AR/VR-Accessibility evaluieren
Kosten-Nutzen-Realität beachten
WCAG 2.1 → 2.2: +15-20% Implementierungs-Aufwand für deutlich bessere mobile UX
WCAG 2.2 → 2.3: +30-40% Aufwand für cutting-edge Features
Empfehlung: Schrittweise Migration, beginnend mit 2.1 für BFSG-Compliance
Testing-Strategien für verschiedene WCAG-Versionen
WCAG 2.1 Testing (etablierte Tools):
- axe-core: Vollständige 2.1-Unterstützung, alle 50 Kriterien
- WAVE: Browser-Extension für manuelle Prüfung
- Pa11y: Command-Line-Tool für CI/CD-Integration
- Lighthouse: Google-Tool mit WCAG 2.1-Checks
WCAG 2.2 Testing (neuere Tools):
- axe-core 4.8+: Unterstützt die meisten 2.2-Kriterien
- IBM Equal Access: Speziell für 2.2-Features erweitert
- Manual Testing: Viele 2.2-Kriterien erfordern noch manuelles Prüfen
- Sa11y: Bookmarklet mit 2.2-Awareness
WCAG 2.3 Testing (experimentell):
- Custom Scripts: Eigene Tools für Draft-Kriterien
- Research Tools: Academia-basierte Testing-Frameworks
- Beta-Participation: W3C Working Groups für Feedback
Migrations-Strategie: Von 2.1 zu 2.2 zu 2.3
Phase 1: WCAG 2.1 Mastery (Monate 1-6)
- Vollständige 2.1 Level AA Compliance erreichen
- Automatisierte Testing-Pipeline etablieren
- Team-Schulungen für alle 50 Kriterien
- Dokumentation und Monitoring einrichten
Phase 2: WCAG 2.2 Enhancement (Monate 7-12)
- Gap-Analyse: Welche 2.2-Kriterien sind relevant?
- Priorisierung: Mobile-fokussierte Kriterien zuerst
- Schrittweise Umsetzung: Ein Kriterium pro Monat
- Testing-Tools updaten auf 2.2-Support
Phase 3: WCAG 2.3 Preparation (Monate 13+)
- Draft-Monitoring: Regelmäßige Überprüfung der Entwicklungen
- Pilot-Projekte: Experimentelle 2.3-Features testen
- Tool-Evaluierung: Neue Testing-Frameworks bewerten
- Team-Weiterbildung: Bleeding-edge Accessibility-Trends
Internationale Perspektive: WCAG-Adoption weltweit
Europa: Konservativer Ansatz
- Deutschland, Frankreich, NL: WCAG 2.1 via EN 301 549
- Update-Zykluş: 3-5 Jahre für neue WCAG-Integration
- Rechtssicherheit: Bewährte Standards bevorzugt
USA: Innovativer aber fragmentiert
- Section 508: Eigene Standards, WCAG-orientiert
- ADA-Klagen: Meist WCAG 2.1 als Maßstab
- Private Sector: Viele adoptierten bereits WCAG 2.2
Asien-Pazifik: Rapid Adoption
- Japan JIS X 8341: Schnelle WCAG 2.2-Integration
- Australien DDA: Aggressive 2.2-Promotion
- Südkorea: Eigene Standards, aber WCAG-kompatibel
Häufig gestellte Fragen zur WCAG-Versionswahl
Muss ich WCAG 2.2 implementieren, auch wenn BFSG nur 2.1 verlangt?
Rechtlich nein, strategisch ja. WCAG 2.2 bietet deutlich bessere mobile Accessibility und reduziert das Risiko von Nutzerbeschwerden.
Sind WCAG 2.2-Kriterien rückwärts kompatibel zu 2.1?
Ja, alle WCAG 2.1-Kriterien bleiben unverändert. 2.2 ist eine reine Erweiterung ohne Breaking Changes.
Wann wird WCAG 2.2 gesetzlich verpflichtend?
Vermutlich ab 2027-2028, wenn EN 301 549 aktualisiert wird. Deutschland hinkt oft 2-3 Jahre hinter W3C-Standards.
Können automatisierte Tools alle WCAG 2.2-Kriterien prüfen?
Nein, besonders die neuen Kriterien zu Fokus-Sichtbarkeit und Touch-Targets erfordern oft manuelle Prüfung.
Ist WCAG 2.3 bereits verfügbar für die Implementierung?
Nur als Working Draft. Produktive Implementierung wird erst ab 2026 nach finaler Standardisierung empfohlen.
Was passiert mit bestehenden WCAG 2.0-Implementierungen?
WCAG 2.0 ist veraltet. Die Migrationspfad führt über 2.1 (BFSG-Compliance) zu 2.2 (Best Practice).
Welche Kosten kommen für WCAG 2.2-Upgrade auf mich zu?
Erfahrungsgemäß 15-20% der ursprünglichen 2.1-Implementierungskosten, variiert stark nach Website-Komplexität.
Haben kleine Unternehmen Zeit für WCAG 2.2, wenn sie noch mit 2.1 kämpfen?
Fokus sollte zunächst auf 2.1 für BFSG-Compliance liegen. 2.2 ist ein Nice-to-Have, kein Must-Have.
Fazit: Pragmatischer Ansatz für 2025
Die WCAG-Entwicklung zeigt: Barrierefreiheit wird immer anspruchsvoller, aber auch präziser. Während WCAG 2.1 die rechtliche Baseline für das BFSG bleibt, bietet WCAG 2.2 echte Verbesserungen für moderne Web-Erlebnisse.
Unsere Empfehlung für 2025:
- Sofort: WCAG 2.1 Level AA für BFSG-Compliance umsetzen
- Parallel: WCAG 2.2-relevante Kriterien für mobile Nutzer implementieren
- 2026+: WCAG 2.3 Draft-Entwicklungen monitoren und vorbereiten
Der Schlüssel ist nicht Perfektion, sondern kontinuierliche Verbesserung. Beginnen Sie mit dem rechtlich Erforderlichen und bauen Sie schrittweise zu Best Practice aus.
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